Tübinger Wissenschaftler sind Schnittstelle zwischen Umwelt und Genen auf der Spur, die das Risiko für Parkinson senken könnte
„Bewegen Sie sich ausgiebig, genießen die Zeit mit Freunden und erfreuen sich an der schönen Natur! Sie fühlen sich dabei nicht nur körperlich wohl, es scheint auch Ihrem Gehirn gut zu tun!“ Dieser Ratschlag könnte die Ergebnisse einer Studie zusammenfassen, die gerade durch ein Team aus Wissenschaftlern des Instituts für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik am Universitätsklinikum Tübingen sowie des Hertie Instituts für Klinische Hirnforschung (HIH) veröffentlicht wurde.
Im anerkannten Fachblatt Frontiers in Cellular Neuroscience zeigen die Wissenschaftler um Dr. Julia Schulze-Hentrich, wie Bewegung, soziale Interaktion und Kognition durch das alpha-Synuclein Gen hervorgerufene Veränderungen in der Zelle weitgehend verhinderten. Das Gen spielt eine zentrale Rolle bei Parkinson.
Parkinson ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns, die überwiegend ältere Menschen trifft. Nach Alzheimer ist sie die zweithäufigste ihrer Art. Aktuell geht man von rund 400.000 Parkinson-Patienten allein in Deutschland aus, wobei mit den fortschreitenden demographischen Verschiebungen von einem Anstieg der Betroffenenzahlen auszugehen ist. Die Krankheit geht offenbar aus einem komplexen Zusammenspiel von Genen, Alterung und Umweltfaktoren hervor. Dabei scheinen einige Umweltfaktoren das Erkrankungsrisiko zu erhöhen, andere dem Risiko entgegenzuwirken.
„Menschen, die sich viel bewegen, am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen und ihr Gehirn versuchen fit zu halten, sind seltener von Parkinson betroffen. Wir sind fasziniert davon zu verstehen, wie diese Umweltbedingung ihren positiven Einfluss auf unsere Gene ausüben“, sagt Studieninitiatorin Schulze-Hentrich. „Wir wissen zwar, dass es protektiven Einfluss bestimmter Umweltfaktoren in Bezug auf Parkinson gibt, aber noch viel zu wenig, wie dieser Einfluss molekular funktioniert.“ Ein Verständnis der zu Grunde liegenden zellulären Mechanismen könnte potentiell genutzt werden, um den Effekt eines protektiven Umweltfaktors auf beteiligte Schlüsselgene in einer Therapie gezielt nachzuahmen.
Für ihre Untersuchungen nutzten die Wissenschaftler Mäuse, die das menschliche alpha-Synuclein tragen, und untersuchten Veränderungen der Genaktivität im gesamten Genom unter dem Einfluss eines sogenannten Enriched Environment, das eine in Bezug auf Bewegung, soziale Interaktion und Kognition stimulierende Umgebung für die Tiere abbildet. „Neueste Technologien, die wir in unserer zentralen Forschungseinrichtung am Standort Tübingen nutzen und anbieten, machen solche Fragestellungen erst möglich“, ergänzt Professor Olaf Riess, Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik in Tübingen.
Mit dieser Technologie die Umwelt-Gen-Achse in Parkinson besser als je zuvor zu verstehen ist zentrales Anliegen des BMBF-geförderten decipherPD-Projekts, das Schulze-Hentrich koordiniert und in dem sechs Forschungsteams aus Deutschland, Frankreich und Kanada zusammenarbeiten. „In decipherPD versuchen wir einzelne Phänomene auf unterschiedlichen Ebenen in der Zelle wie in einem Puzzle zusammenzufügen und nachzuvollziehen, welche Signalwege Umweltfaktoren in der Zelle nutzen, welche Spuren sie auf der Verpackungsstruktur unserer DNA hinterlassen und wie diese wiederum die Aktivität von Genen bei Parkinson beeinflussen“, umreißt Philipp Kahle, Professor für Funktionelle Neurogenetik am HIH, als beteiligter Wissenschaftler die Kernaufgabe des Projekts. Es sei höchst motivierend zu sehen, dass wir selbst bei Krankheiten wie Parkinson nicht vollkommen unseren Genen ausgeliefert scheinen, so Schulze-Hentrich. Ihr Team arbeite bereits mit Hochdruck an Folgestudien, um potentiell neue Wege für dringend benötigte neue Therapieansätze in Parkinson aufzuzeigen.
Quelle: https://idw-online.de/de/news693744